Die mexikanische Zeiteinheit «ahorita»
Wir Schweizer schimpfen ja manchmal über andere Völker, dass sie so unfreundlich wären. Den Mexikanern gegenüber schneiden wir aber schlecht ab. Sie sind bekannt dafür, dass sie sehr freundlich und hilfsbereit sind. Und was sie, meiner Erfahrung nach, überhaupt nicht gerne tun, ist, jemanden zu verärgern oder vor den Kopf zu stossen. Sie würden selten jemandem sagen, wenn er etwas nicht gut gemacht hat und nein sagen fällt ihnen sowieso sehr schwer. Das spiegelt sich auch in der Sprache wider.
Viele Wörter werden zum Beispiel verkleinert respektive verniedlicht. Das haben wir gemeinsam. In der Schweiz in dem wir das -li anhängen, in Mexiko indem die Endung in -ita bzw. ito geändert wird. Einerseits wird das gemacht, weil es hübscher klingt, andererseits braucht man diese Verniedlichung hier in Mexiko aber auch, um etwas runterzuspielen. Zum Beispiel: das kostet nur ein paar Pesos -> «unos pesitos» (um zu sagen, dass es doch eigentlich gar nicht so teuer ist). Oder er ist ein bisschen krank -> «enfermito» (dabei liegt er im Krankenhaus). Tust du mir einen kleinen Gefallen -> «un favorcito...».
Am meisten liebe ich es, wenn sie Zeitformen verkleinern, bei denen weiss man dann nämlich nie ob man mit Minuten, Jahren oder einer Ewigkeit rechnen muss. Zum Beispiel für «warte kurz» sagen sie «espera tantito». Oder das beliebteste Wort ist «ahorita». «Ahorita» kommt von «ahora» und «ahora» heisst übersetzt «jetzt». Sobald aber die verkleinerte Form benutzt wird, würde ich es eher als «gleich» übersetzen. Gemäss Duden bedeutet gleich «in relativ kurzer Zeit, sofort, [sehr] bald». Hier in Mexiko kann es aber von «sofort», über «in ein paar Wochen» bis «nie» bedeuten und natürlich wird jeweils nicht mitgeteilt, welche Bedeutung grad verwendet wird. Es soll eigentlich einfach heissen «ich machs (vielleicht), aber ich kann dir nicht sagen wann».
Am Anfang bin ich relativ oft darauf hereingefallen. Wenn mir jemand sagte, «ahorita te hablo», hab ich verstanden «ich ruf dich gleich an». Dann habe ich auf den Anruf gewartet und ärgerte mich anschliessend, weil der Anruf erst Tage später oder manchmal gar nicht mehr kam. Ein anderes Mal waren mein Freund und ich auf einem Markt und schauten uns an einem Stand ein paar Schuhe an. Der Verkäufer nahm mehrere Modelle raus um sie uns zu zeigen, wir wollten die Schuhe schlussendlich aber doch nicht kaufen. Nur wie sagt man das nun ohne unfreundlich zu wirken. Mein Freund sagte dann, «gracias, ahorita regresamos». Ich fragte ihn erstaunt «Wirklich? Willst du da nochmals zurück?». Da erklärte er mir, dass man das hier so sagte. Man meint das nicht wörtlich, sondern will damit sagen «ich geh jetzt, du weisst, dass ich nicht wiederkomme, ich lasse aber die Möglichkeit offen doch noch zurückzukommen». Das wird dann lächelnd akzeptiert.
Wenn man mal weiss wie man dieses Wort anwenden kann, hat es sehr viele Vorteile. Man kann sich damit aus so vielen Situationen elegant herausreden. Eben auf eine höfliche Art und Weise etwas ablehnen ohne nein zu sagen.
Lustigerweise wenn die Mexikaner etwas sofort benötigen, sagen sie «ahoritita» (also das Wort «ahora» doppelt verkleinert). Da versteht dann jeder, dass es «jetzt sofort» heisst und auch so gemeint ist.