Eine Stadt so gross wie ein Kanton
Aufgewachsen bin ich sozusagen auf dem Land. Das Dorf in dem ich als Kind lebte hatte ca. 5'000 Einwohner. Später zog ich dann in eine Kleinstadt mit knapp 20'000 Einwohnern. Ich hatte eine Wohnung am Stadtrand, war also schnell in der Natur. Gearbeitet hatte ich in Zürich, mit über 400'000 Einwohnern die grösste Stadt der Schweiz. Ich genoss es auf dem «Land» zu wohnen und in der Stadt zu arbeiten. Egal was ich brauchte, ich fand es im Umkreis meiner Arbeit. Und am Wochenende genoss ich die Nähe zur Natur. Trotzdem konnte ich mir vorstellen irgendwann in eine Grossstadt zu ziehen.
Diese Vorstellung bezog sich allerdings auf Zürich, mit einer halben Million Einwohner. Wisst ihr wie viele Menschen in Mexiko Stadt leben? Im Stadtkern sind es über 8 Millionen (also wie die gesamte Schweiz). Wenn man den Ballungsraum jedoch miteinbezieht sind es über 20 Millionen Einwohner! Und für die, die lieber Flächen vergleichen: Mexiko Stadt ist fast so gross wie der ganze Kanton Zürich.
Ausblick auf einen kleinen Teil der Stadt
Ich hatte damals sehr viel Glück (ok, Geduld war auch dabei), dass ich eine Arbeit in der Nähe unserer Wohnung fand. Das ist hier keineswegs selbstverständlich. Wie in allen Grossstädten sind die Wohnungen im Zentrum teurer als ausserhalb. Die guten Arbeitsstellen sind jedoch im Zentrum. Das heisst, entweder verdient man gut genug um sich eine Wohnung an zentraler Lage leisten zu können, oder man muss pendeln. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist es nicht so teuer, aber sehr sehr mühsam. In der Schweiz beklagte ich mich, wenn ich im Zug nicht sitzen konnte, hier kann man froh sein, wenn man überhaupt in die Metro oder in den Bus passt.
Obwohl auf 2'250 Meter über Meer liegt Mexiko Stadt in einem Tal. Gesäumt wird dies unter anderen von den berühmten Vulkanen Iztaccíhuatl (weisse Dame) und Popocatépetl (rauchender Berg). El Popo, wie man ihn auch nennt, macht seinem Namen Ehre, denn er raucht tatsächlich fleissig. Vor wenigen Wochen spukte er sogar Feuer, wie man in den Nachrichten sehen konnte. Hier in der Stadt wird im schlimmsten Fall jedoch nicht mehr als Ascheregen erwartet und mittlerweile hat sich die Situation wieder etwas entschärft.
Die beiden Vulkane Iztaccíhuatl und Popocatépetl
Die Stadt liegt also in einem Tal, was zur Folge hat, dass sich die schlechte Luft ansammelt. Abgase, Rauch von Waldbränden oder eben vom Vulkan, alles bleibt über der Stadt hängen. Vor allem im Frühling, wenn es lange Zeit weder regnet noch windet, kann das sehr erdrückend werden. Zum Teil wird es so schlimm, dass Massnahmen ergriffen werden müssen, wie zum Beispiel, dass nicht alle Autos zirkulieren dürfen. Das wird dann ein paar Tage durchgezogen, bis sich die Luft wieder bessert.
Als hätten wir mit der schlechten Luft und dem Vulkan nicht schon genug Sorgen, sitzen wir auch noch auf einem tektonischen Puzzle. Das setzt sich zusammen aus der nordamerikanischen, der pazifischen und der Cocos-Platte. So werden wir immer mal wieder von Erdbeben durchgeschüttelt. Ich selber habe bisher schon einige miterlebt, darunter auch ein verheerendes. Da Erdbeben nicht vorhergesagt werden können erwischt es einem jedes Mal kalt. Entweder wird man vom markdurchdringenden Heulen des Alarms aufgeschreckt, oder man merkt plötzlich wie sich der Boden unter einem bewegt. Egal wie, das Herz beginnt schneller zu schlagen und man versucht sich zu erinnern, was man bei der Erdbebenübung gelernt hat. Ruhe bewahren heisst es immer, wenn es noch nicht bebt, abschätzen ob man es in 45 Sekunden nach draussen schafft. Ansonsten drinnen einen sicheren Ort suchen. Der Türrahmen ist es hier in Mexiko meistens nicht.
Da Teile der Stadt auf einem ausgetrockneten See liegen, bewegt sich dieser Boden wie Wackelpudding. Wir haben das Glück, dass unser Haus und auch unsere Arbeitsorte auf Vulkanstein stehen. Dort spürt man Erdbeben erst ab einer Stärke von 6,0. Ausser das Epizentrum liegt in der Stadt, was kürzlich vorkam, dann spürt man auch die angeblich schwachen.
Trotz diesen Schattenseiten ist Mexiko Stadt sehr lebenswert. Wie das Land selbst ist auch die Stadt sehr vielfältig. In unserer Freizeit können wir den nahegelegenen Nationalpark bewandern, im riesigen Unigelände Fahrrad fahren (das ist übrigens eine der grössten Universitäten des amerikanischen Kontinenten) oder im Park gegenüber Yoga-Stunden besuchen. Die beliebten Stadtviertel Condesa, Roma und Polanco bieten unzählige Cafës, Bars und Restaurants für Treffen mit Freunden. Auch gingen wir schon Minigolf spielen auf dem Dach eines Einkaufszentrums oder Go-Kart fahren im siebten Untergeschoss eines solchen. Kunst-, Kultur- und Gourmetfreunde kommen ebenso auf ihre Kosten wie Sportbegeisterte. Die Möglichkeiten sind fast endlos.
Strasse bei uns um die Ecke
Das Klima ist sehr angenehm. Im Sommer wird es selten über 30 Grad warm und im Winter steigen die Temperaturen tagsüber, trotz zum Teil frostigen Nächten, auf über 20 Grad. Während der Regenzeit muss man zwar mit starken Regen rechnen, aber die Tage an denen es vormittags bereits regnet kann man einer Hand abzählen.
Die Stadt überrascht auch mit ihren vielen Grünflächen. In jedem Viertel gibt es mehrere Parks, die zum Spazieren einladen, und dann ist da noch der Bosque de Chapultepec, mit seinen 4 Quadratkilometern die grösste Grünanlage Mexiko Citys mit einem See, einem grossen Zoo, verschiedenen Museen und einem sehenswürdigen Schloss. Aber nicht nur die Pärke machen Mexiko City grün. Auch grosse Strassen sind gesäumt von wuchtigen Bäumen und die Mittelstreifen werden regelmässig bepflanzt und gepflegt. Durch das angenehme Klima grünt ja auch immer alles.
Aussicht vom Schloss auf den Bosque de Chapultepec
So lebt es sich hier, in dieser Megametropole, recht angenehm und es wird nie langweilig. Aber vermissen tue ich natürlich die Alpen, die Freibäder und die kurzen Distanzen. Ein Landei bin ich wahrscheinlich, auch nach 8 Jahren in der Grossstadt, noch immer.