Wie und warum ich mein Leben umkrempelte
Es begann vor
vielen vielen Jahren. Ich arbeitete damals noch im Büro und hatte im Jahr fünf
Wochen Ferien. Diese fünf Wochen verbrachte ich meistens irgendwo weit weg. Je
weiter im Westen desto besser. Mit dem Nachhausekommen tat ich mich immer etwas
schwer und die meiste Zeit sass ich auf meinem Bürostuhl und fragte mich wann
endlich Feierabend war. So konnte das nicht mehr weitergehen, denn ich wollte
die Zeit von 8 – 5 Uhr ebenfalls geniessen und nicht nur das Wochenende und die
Ferien. Mein Traum war es mehr draussen zu sein, nur noch bis Mittag
Verpflichtungen zu haben, meine Fremdsprachen brauchen und mich mehr
künstlerisch betätigen zu können. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich jedoch keine
Ahnung, wie ich diesen Traum verwirklichen könnte, denn ich sah auch die
Verpflichtungen, die ich hatte, wie Miete, Versicherungen, Steuern, Auto, und
so weiter.
Eines Tages ging ich zu einem Coach um mit professioneller Hilfe weiterzukommen. Ich wusste ja, was ich wollte, nur wusste ich nicht wie ich es erreichen konnte. Der Coach führte mir vor Augen, dass ich meinen Alltag abwechslungsreicher gestalten musste, und riet mir mein Arbeitspensum im Büro erst einmal auf 80% zu reduzieren. Das tat ich dann auch und nebenbei gab ich Zumbastunden, nahm Tanzunterricht, absolvierte einen Schreibkurs, lernte Spanisch, langweilig wurde es mir wirklich nicht. Eine Zeit lang fühlte es sich besser an, aber der Wunsch nach einer Veränderung war noch immer da.
Dann im Jahr 2013 ging ich nach Mexiko in die Ferien. Ich hatte auf einer Ranch zwei Wochen Reiten gebucht. Ein wirkliches Schmuckstück einer Ranch, von einer Schweizerin errichtet und geführt (https://www.rancholascascadas.com). Ich fühlte mich schon immer zu Mexiko hingezogen, weiss aber bis heute nicht wieso. In diesen zwei Wochen sah ich eigentlich nicht viel von Mexiko - mit dem Pferd kommt man nicht so weit - aber das, was ich sah, faszinierte mich so sehr, dass ich mehr kennenlernen wollte. Von diesem Moment an, kreisten meine Gedanken nur noch darum, wie ich mehr Zeit in diesem vielfältigen Land verbringen könnte. Ich hätte auf die nächsten Ferien warten oder unbezahlten Urlaub nehmen können. Aber das war mir alles zu wenig. Ich wollte unbegrenzt Zeit haben.
Hauptgebäude der Ranch Las Cascadas
Auf der Suche nach Möglichkeiten stiess ich auf
workaway.info. Auf dieser Seite wird Arbeit gegen Kost und Logis angeboten. Auch
für Mexiko gab es zahlreiche Angebote von Hotels, Farmen oder Privatpersonen,
die immer wieder Reisende suchen, die etwas andere Ferien machen möchten. Ich
war sofort begeistert davon und rechnete mal aus, wieviel Geld ich für die
Reise brauchen würde. Ich bin schliesslich nicht jemand, der sich blindlings in
Abenteuer stürzt. Mir wurde klar, dass ich meine Wohnung kündigen oder
untervermieten müsste. Da ich aber unabhängig sein wollte entschloss ich mich
für ersteres, verkaufte zudem mein Auto und kündigte meinen Job. Ich hatte nur
noch einen Lagerraum, wo ich ein paar persönliche Dinge aufbewahrte.
In Mexiko kann man mit dem Touristenvisum sechs Monate lang bleiben. Ich konnte mir durchaus vorstellen nach den sechs Monaten weiterzureisen. Ich liess es einfach offen, das konnte ich nun ja. Mir war einfach wichtig, dass ich schon vor der Abreise wusste, wo ich die erste Woche übernachten würde, denn auf der Strasse schlafen liegt mir nicht so. Die nachfolgenden Monate sind eine Geschichte für sich, die man im Blog dazu (https://pajaro-cantando.jimdofree.com/) nachlesen kann. Jedenfalls machte ich mich auf die geplante Reise, arbeitete auf einer Farm, bei einer Familie und in einem Hotel am Strand, lernte einige schöne Orte kennen, bis ich meinen jetzigen Freund traf, was meine Pläne etwas änderte.
Einen Monat arbeitete ich gegen Kost und Logis in einem Hotel am Strand
Ich zog ziemlich bald darauf mit meinem Koffer bei ihm in Mexiko City ein, denn ich dachte mir, wenn es nicht funktioniert, packe ich einfach meine sieben Sachen und fliege nach Hause. Aber Monate später war ich noch immer bei ihm und musste mich vor eine schwere Entscheidung stellen. In der Schweiz warteten meine Familie und meine Freunde, die ich liebe und nicht enttäuschen wollte, und in Mexiko mein Freund und seine Familie, die mich und ich sie ins Herz geschlossen hatten. Ausserdem war da der Reiz einmal in einem fremden Land zu wohnen, vollständig in eine andere Kultur einzutauchen, quasi ein neues Leben aufzubauen.
Nach einigem Hin und Her entschloss ich mich dann, mich in Mexiko niederzulassen. Es war die Gelegenheit meinen Traum vielleicht umsetzen zu können. Ich flog für drei Monate in die Schweiz zurück um meinen Lagerraum aufzulösen, Versicherungen zu kündigen, Adressänderungen vorzunehmen und natürlich auch um meine Familie und Freunde nochmals ausgiebig zu geniessen. Ich glaube, ich brauche nicht gross zu erwähnen, dass es schlussendlich das schwerste war, sie zurücklassen zu müssen.
Zurück in Mexiko begann dann die Arbeitssuche. Ich hatte noch ein paar Reserven auf meinem Bankkonto, aber ewig reichten diese nicht. Und wer mich kennt, weiss, dass ich mein eigenes Geld verdienen möchte. Mir wurden bereits vor meinem Aufenthalt in der Schweiz ein paar Möglichkeiten angeboten, wie an einer Schule auf dem Land Deutsch zu unterrichten oder Senioren mit Zumba fit zu halten, aber überzeugt hatte mich das nicht. Spätestens als ich erfuhr, dass man in Mexiko nur sechs Tage Ferien pro Jahr bekommt, stellte ich fest, dass ich mir diesen Teil meines neuen Lebens nicht so gründlich überlegt hatte. Aber irgendeine Lösung fand ich schon, da war ich mir sicher.
Sicher war ich mir auch, dass ich nicht mehr den ganzen Tag im Büro arbeiten und mehr Zeit für meine Hobbys haben wollte. Und, wie weiter oben bereits erwähnt, wollte ich ausserdem mehr draussen sein und meine Sprachen brauchen können. Die Arbeitsstelle, die alle meine Anforderungen erfüllte, fand ich dann ein halbes Jahr später und eher per Zufall. Denn erst bemühte ich mich um Online-Jobs und einzelne Deutschstunden für Erwachsene um zumindest ein bisschen Geld zu verdienen. Dabei traf ich auf eine Frau, die mich fragte, ob ich mich bei der Deutschen Schule bereits beworben hätte. Ich verneinte mit der Begründung, dass diese doch sicher nur ausgebildete Lehrer einstellen würden. Ihre Antwort werde ich vermutlich nie vergessen: «Du schick deine Bewerbung, wenn sie dich nicht haben möchten, lassen sie dich das schon wissen.»
So schickte ich wenig später meinen Lebenslauf an die Personalabteilung der Deutschen Schule in Mexiko Stadt. Ich glaube, ich gab nicht einmal spezifisch an, für welche Stelle ich mich genau bewarb. Ich weiss nicht mehr wieviel Zeit dazwischen verging, jedenfalls hatte ich die Bewerbung bereits vergessen, als mich die Personalleiterin anrief und mich zu einem Vorstellungsgespräch einlud. Dort boten sie mir die Stelle als Kindergärtner-Assistentin an. Nur Vormittags arbeiten, viel draussen sein, basteln können, elf Wochen Ferien im Jahr, gute Sozialleistungen, anständiger Lohn, Arbeitsvisum durch die Schule organisiert, war das nicht genau das, was ich gesucht hatte?
Ich wäre nie und nimmer auf Kindergärtnerin gekommen, wenn ich nach dem für mich geeigneten Job gesucht hätte. Ausserdem konnte ich mir davor auch nicht vorstellen, dass man diesen Beruf ausüben kann, ohne eine entsprechende Ausbildung zu haben. Das zeigte mir wieder einmal, dass es manchmal besser ist, den Kopf auszuschalten und den Dingen seinen Lauf zu lassen. Einen Monat später begann ich meine Arbeit im Kindergarten und seither fühlt sich jeder Tag gleich erfüllt an, egal ob Montag, Freitag oder Sonntag. Ich geniesse die Tage von morgens früh bis abends spät, kann viel reisen, basteln, stricken, malen, die Sonne geniessen und mich bewegen. Natürlich ist auch hier in Mexiko nicht alles perfekt und es ist nicht immer einfach als organisierte, zuverlässige Schweizerin mit Leuten aus einer so anderen Kultur zu leben und zu arbeiten - darüber berichte ich noch - aber ich fühle mich freier, lebendiger und entspannter und habe das erreicht, wovon ich geträumt hatte.